Zur Werkserie „stone_clearing“ von Egon Straszer Vom Objekt zur Skulptur. Oder: die Wiederkehr des Steins

Mag. Carl Aigner


Im Zuge der enormen Transformation des Skulpturenbegriffs in der Geschichte der Bildenden Kunst des 20. Jahrhundert, spätestens seit Marcel Duchamp, wird  seit den 1960er Jahren auch das Material Stein als künstlerisches Medium zunehmend obsolet. Nicht nur das: Mit der Entwicklung vollkommen neuer Materialien wie Aluminium oder Plexiglas wird Steinmaterial immer mehr als antiquiert stigmatisiert. Erweiterung und Erneuerung des Kunstbegriffs selbst nach dem 2. Weltkrieg ließen den Begriff des Bildhauers zusätzlich zu einer marginalen Erscheinung werden.

Fast kontrapunktisch zum Jahrzehnt der endgültigen digitalen Revolution und der daraus resultierenden Neo-Neo Medienkunst beziehungsweise der bereits dritten Generation von Medienkünstlern beginnt Egon Straszer als freischaffender Künstler 1989 mit dem Material Stein zu arbeiten. Bis 1998 experimentiert er figurativ auch mit Metall, Holz und Gips; er vollzieht einen Wechsel von der Abstraktion seiner Metall- und Holzarbeiten hin zu einer neuen Figuration. 

Die Werkzäsur mit dem Material Stein basiert nicht nur auf dem Bedürfnis, mit hartem Material zu arbeiten, sondern auch auf der Entwicklung neuer technischer Werkzeuge der Bearbeitungsmöglichkeiten von Stein sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit Materialfragen generell für den künstlerischen Arbeitsprozess. Parallel dazu malt er kontinuierlich, um formale Möglichkeit zu verstehen und Material und Thema auszuloten.

In einem experimentellen Prozess entstand in den letzten Jahren eine rund fünfzig Arbeiten umfassende Werkserie, die Straszer selbst als „stone-clearing“ bezeichnet. Die dafür verwendeten Serpentine und Granite fungieren dabei sowohl als technisches wie auch als ästhetisches Material. Sein bildhauerischer Klärungsprozess entsteht sowohl hinsichtlich der Frage nach anderen, neuen  Möglichkeiten figurativer Gestaltung als auch hinsichtlich einer Materialimmanenz, das heißt einer Gestaltbarkeit im Material selbst.   

Hier vollzieht sich ein entscheidendes neues Moment seines bildnerischen Selbstverständnisses. Mittels minutiösen, computergesteuerten Querschnitten des Steins mit Diamantsägen gelingt es ihm, menschliche Figuren im Stein selbst zu „formen“: Säulenidole des 21. Jahrhunderts. Dies geschieht im Spannungsfeld eines Wahrnehmungsspiels von sichtbar – unsichtbar. Je nach dem Blickwinkel des geometrisch eingeschnittenen Steins wird ein formal systematisierter menschlicher Körper dreidimensional auf jeder Seite des Steins einsehbar. Diese plastische Wahrnehmbarkeit  resultiert aus einer neuen Relation von Skulptur und Licht. In dieser faszinierenden Verbindung wird nicht nur ein Entmaterialisierungseffekt zuwege gebracht, indem Lichträume im Inneren des Steins durch spezielle Schnitttechniken geschaffen werden, sondern auch die Figuration selbst dematerialisiert. Der Künstler schafft eine wahrnehmungspsychologisch neue Transparenz des harten Steinmaterials, Innen und Außen verkehren sich permanent in das Gegenteil: Schwebend erscheint und verschwindet je nach Blickperspektive die in den Steinblöcken herausgearbeiteten Personagen.

Das Moment der Entmaterialisierung wird auch auf das Äußere des geometrischen Steinformats erweitert: „Die Oberflächen werden mit Feuer und Wasser behandelt um einen zarten Spiegeleffekt zu erreichen, eine Art Hommage an das Leben und die Freiheit. Durch die sensible Spiegelung sind der Betrachter und die Umgebung in das Kunstwerk, in die Hommage eingebunden und gleichzeitig wird es zu einer Herausforderung für eine aktive sinnliche Wahrnehmung“, schreibt dazu Straszer selbst. In der genuinen Ver-Wendung des Arbeitsmaterials wird dieses sozusagen gegen seinen eigenen Materialcharakter ge-wendet. Der Stein wird nicht mehr in eine kunsthistorische Semantik eingebunden, sondern von dieser freigesetzt. Damit werden auch neue rezeptive, vor allem emotionale Zugänge geöffnet, die den außerordentlich immateriellen Aspekt betonen.

Dem Künstler gelingt es damit, Materialklischees mit ihren Vorurteilen aufzuheben, neue Blicke darauf zu schaffen und dem „alten“ bildnerischen Medium Stein zu einer aktuellen Brisanz zu verhelfen. Darüber hinaus gelingt es ihm, eine neue Verschränkung von geometrisch-abstrakten mit biomorphen Formen in einem Werkprozess selbst zu vollziehen und die oft unglückliche Diskussion über abstrakt und figurativ aufzuheben. Als „Oase der sinnlichen Wahrnehmung“ beschreibt er seine künstlerische Klärungsarbeit, mit der eine konzeptive und konstruktivistische Herangehensweise ebenso notwendig ist wie die Unmittelbarkeit des Materials selbst zu be-greifen – und ist bildende Kunst, insbesondere die Skulptur, nicht auch immer ein sinnliches (Wahrnehmungs-) Abenteuer?