Der moderne Mensch zeigt sich erstmals in Donatellos Statuen Florentiner Bürger am Campanile des Domes. Seitdem ist es in einem Metier, zu dem in jedem Jahrhundert nicht mehr als eine Handvoll substantielle Aussagen getroffen werden, alles andere als leicht, neue Wege zu gehen, den Zeitgeist auf den Punkt zu bringen, ohne zur Eintagsfliege zu regredieren. Sich dies alles zu vergegenwärtigen erleichtert den Zugang zum Werk Egon Straszers, insbesondere jenen zur Werkgruppe "stone_clearing".
Egon Straszer, einen klassisch ausgebildeten Kunstschmied hat der Stein von seiner ersten Begegnung mit ihm keine Ruhe mehr gelassen und er ist hochkonzentriert und philosophisch - sind nicht die Bildhauer immer schon die Philosophen unter den Künstlern und die Handwerker unter den Philosophen gewesen? - an ihn herangegangen. Er be-zeichnet ihn, sammelt seine Gedanken in ihm, er be-nutzt ihn als (Ge)Denk-Tafel, er enthüllt seinen Kern und er höhlt ihn aus, bis nur noch ein filigranes Gespinst von Steinfäden das Bersten des Steins zu verhindern scheint. stone_clearing geht von solchen Bearbeitungen aus, lässt sie aber auf einem radikalen Weg zu einer neuartigen Figuralität weit hinter sich und hebt gleichzeitig unser Bild vom Stein selbst auf.
Mittels einer präzise gesteuerten Filtrierung des steinernen Quaders schreibt Straszer diesem eine Figur ein, die wir nicht greifen, sondern nur als Schatten gegen einen lichten Hintergrund wahrnehmen können. Dass wir die dem Stein innewohnende Gestalt nicht mehr greifen können, treibt die Dichotomie des digitalen Zeitalters zwischen Virtualität und Präsenz auf eine steinerne Spitze. Je grösser die Distanz, desto deutlicher erkennen wir die Figur im Kern des Steins, die unfassbar bleibt.
Der "sprechende Stein" ist eine alte Metapher, die versinnbildlicht, dass auch das Stumme etwas zu erzählen weiß und dass selbst dem widerständigsten Material eine Geschichte eingeschrieben ist. In der Kunst am Beginn des 21. Jahrhunderts schweigen die Steine immer öfter, als hätten sie genug von den begehrenden Blicken und tastenden Händen der Vielen. Auch damit spielen die Werke Egon Straszers virtuos, indem sie die Form dem Begehren des Betrachters entziehen. An Egon Straszers schönen Steinen lässt sich lernen, wieso wir begehren, was nicht zu begreifen ist. Dies wiederum steigert das Begehren nach seinen Werken in einer Zeit, in der die Bildhauerei hinter der Objektkunst und der installativen Kunst zu verschwinden droht, ja sogar ihre Ausbildungsgrundlagen an den Kunstuniversitäten zu verlieren droht. Egon Straszer hat Aufgaben im öffentlichen Raum bewältigt, seine Werke befinden sich nicht nur in öffentlichen, sondern in etlichen bedeutenden Sammlungen.
Im Zuge der enormen Transformation des Skulpturenbegriffs in der Geschichte der Bildenden Kunst des 20. Jahrhundert, spätestens seit Marcel Duchamp, wird seit den 1960er Jahren auch das Material Stein als künstlerisches Medium zunehmend obsolet. Nicht nur das: Mit der Entwicklung vollkommen neuer Materialien wie Aluminium oder Plexiglas wird Steinmaterial immer mehr als antiquiert stigmatisiert. Erweiterung und Erneuerung des Kunstbegriffs selbst nach dem 2. Weltkrieg ließen den Begriff des Bildhauers zusätzlich zu einer marginalen Erscheinung werden.
Fast kontrapunktisch zum Jahrzehnt der endgültigen digitalen Revolution und der daraus resultierenden Neo-Neo Medienkunst beziehungsweise der bereits dritten Generation von Medienkünstlern beginnt Egon Straszer als freischaffender Künstler 1989 mit dem Material Stein zu arbeiten. Bis 1998 experimentiert er figurativ auch mit Metall, Holz und Gips; er vollzieht einen Wechsel von der Abstraktion seiner Metall- und Holzarbeiten hin zu einer neuen Figuration.
Die Werkzäsur mit dem Material Stein basiert nicht nur auf dem Bedürfnis, mit hartem Material zu arbeiten, sondern auch auf der Entwicklung neuer technischer Werkzeuge der Bearbeitungsmöglichkeiten von Stein sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit Materialfragen generell für den künstlerischen Arbeitsprozess. Parallel dazu malt er kontinuierlich, um formale Möglichkeit zu verstehen und Material und Thema auszuloten.
In einem experimentellen Prozess entstand in den letzten Jahren eine rund fünfzig Arbeiten umfassende Werkserie, die Straszer selbst als „stone-clearing“ bezeichnet. Die dafür verwendeten Serpentine und Granite fungieren dabei sowohl als technisches wie auch als ästhetisches Material. Sein bildhauerischer Klärungsprozess entsteht sowohl hinsichtlich der Frage nach anderen, neuen Möglichkeiten figurativer Gestaltung als auch hinsichtlich einer Materialimmanenz, das heißt einer Gestaltbarkeit im Material selbst.
Hier vollzieht sich ein entscheidendes neues Moment seines bildnerischen Selbstverständnisses. Mittels minutiösen, computergesteuerten Querschnitten des Steins mit Diamantsägen gelingt es ihm, menschliche Figuren im Stein selbst zu „formen“: Säulenidole des 21. Jahrhunderts. Dies geschieht im Spannungsfeld eines Wahrnehmungsspiels von sichtbar – unsichtbar. Je nach dem Blickwinkel des geometrisch eingeschnittenen Steins wird ein formal systematisierter menschlicher Körper dreidimensional auf jeder Seite des Steins einsehbar. Diese plastische Wahrnehmbarkeit resultiert aus einer neuen Relation von Skulptur und Licht. In dieser faszinierenden Verbindung wird nicht nur ein Entmaterialisierungseffekt zuwege gebracht, indem Lichträume im Inneren des Steins durch spezielle Schnitttechniken geschaffen werden, sondern auch die Figuration selbst dematerialisiert. Der Künstler schafft eine wahrnehmungspsychologisch neue Transparenz des harten Steinmaterials, Innen und Außen verkehren sich permanent in das Gegenteil: Schwebend erscheint und verschwindet je nach Blickperspektive die in den Steinblöcken herausgearbeiteten Personagen.
Das Moment der Entmaterialisierung wird auch auf das Äußere des geometrischen Steinformats erweitert: „Die Oberflächen werden mit Feuer und Wasser behandelt um einen zarten Spiegeleffekt zu erreichen, eine Art Hommage an das Leben und die Freiheit. Durch die sensible Spiegelung sind der Betrachter und die Umgebung in das Kunstwerk, in die Hommage eingebunden und gleichzeitig wird es zu einer Herausforderung für eine aktive sinnliche Wahrnehmung“, schreibt dazu Straszer selbst. In der genuinen Ver-Wendung des Arbeitsmaterials wird dieses sozusagen gegen seinen eigenen Materialcharakter ge-wendet. Der Stein wird nicht mehr in eine kunsthistorische Semantik eingebunden, sondern von dieser freigesetzt. Damit werden auch neue rezeptive, vor allem emotionale Zugänge geöffnet, die den außerordentlich immateriellen Aspekt betonen.
Dem Künstler gelingt es damit, Materialklischees mit ihren Vorurteilen aufzuheben, neue Blicke darauf zu schaffen und dem „alten“ bildnerischen Medium Stein zu einer aktuellen Brisanz zu verhelfen. Darüber hinaus gelingt es ihm, eine neue Verschränkung von geometrisch-abstrakten mit biomorphen Formen in einem Werkprozess selbst zu vollziehen und die oft unglückliche Diskussion über abstrakt und figurativ aufzuheben. Als „Oase der sinnlichen Wahrnehmung“ beschreibt er seine künstlerische Klärungsarbeit, mit der eine konzeptive und konstruktivistische Herangehensweise ebenso notwendig ist wie die Unmittelbarkeit des Materials selbst zu be-greifen – und ist bildende Kunst, insbesondere die Skulptur, nicht auch immer ein sinnliches (Wahrnehmungs-) Abenteuer?
Egon Straszer absolviert in den 80er Jahren eine Ausbildung zum Bildhauer und Kunstschmied. Er arbeitet zunächst mit Holz, Bronze, Stahl, Gips und Polyester, bevor er sich nach einem Schlüsselerlebnis im Steinbruch Adnet bei Salzburg Anfang der 90er Jahre ausschließlich dem Stein zuwendet. Freunde fordern ihn dort zum Arbeiten mit einem herumliegenden Stein auf, es wird ihm schlagartig bewusst, dass der harte Stein genau das richtige Material für ihn sei. "Es bremst ihn, bindet ihn und entschleunigt ihn. Steine passen zu ihm, zu seinem Charakter einfach am besten" (E. Straszer, Juli 2011). Seitdem bearbeitet er in erster Linie Marmor, Serpentin, Granit und zwischendurch Findlinge. Er beginnt sich mit den physikalischen Eigenschaften von Gestein auseinander zusetzten, vertieft sich in das Behauen von Stein und erprobt handwerkliche und technische Möglichkeiten, das harte Material zu bearbeiten. Er sucht sich die Steine für seine Skulpturen selbst aus, findet sie in speziellen Steinbrüchen, wie dem Steinbruch im Virgental nahe dem Großglockner auf 1800 m Seehöhe, aus dem er den blau/grünlichen Serpentin holt.
Für seine Skulpturen fertigt er detaillierte, maßstabsgetreue Entwürfe an und lässt die Formen mittels computergesteuerter Diamantschneider Schicht für Schicht aus dem Stein schneiden. Eine Schicht wird aus dem Stein geschnitten, eine bleibt stehen und so wechseln sich die Schichten gleichmäßig ab. Die Schnittverhältnisse der Platten zu den Öffnungen richten sich nach der Größe der Steinskulpturen, die von lebens- und überlebensgroßen Skulpturen für den Außenraum bis zu den handlicheren, kleineren für den Innenraum reichen. Die Regelmäßigkeit des Plattenaufbaus, mit den gleichförmigen Verhältnis der Plattendicke zur Öffnung, wird bei vielen seiner Skulpturen durch den oft geometrisch gehaltenen Steinblock verstärkt. Egon Straszer reizt die technischen Möglichkeiten, Stein zu bearbeiten, bis zum Äußersten aus. Immer wieder gehen Arbeiten zu Bruch, denn die unterschiedlichen Steinmateralien reagieren immer anders auf die Einschnitte. Vor allem anfangs war es oft schwierig, das richtige Öffnungsverhältnis zu finden, da keine erprobten Werte vorhanden waren und jede Arbeit gleichzeitig Experiment war. Der Künstler delegiert den Produktionsprozess an Fachleute mit den geeigneten Maschinen, ist aber selbst bei der Produktion immer dabei. Stets lotet er aus, was mit den modernen technischen Mitteln heutzutage überhaupt möglich ist. Obwohl die Maschinen schlussendlich für einen bestimmten Entwurf eingestellt sind, und der Künstler mehrere gleiche Skulpturen auf einmal produzieren könnte, lehnt er das kategorisch ab. Alle Skulpturen sind Einzelstücke.
Die Oberfläche der Skulpturen ist mit Wasser und Feuer bearbeitet - nicht lackiert - und bekommt dadurch einen besonderen Glanz. Je nach Tageszeit und Blickwinkel verändert sich die Erscheinung der Skulpturen aus dem roten bis rotbraunen Granit, dem blauen bis grünlichen Serpentin, dem schwarzen, afrikanischen und dem fleischfarbenen, norwegischen Granit. So spiegelt sich manchmal die Umwelt in den Skulpturen wider, dann wiederum wirkt die durchbrochene Gesamtfläche durchscheinend und man erkennt deutlich die innen liegende Form, die häufig als menschliche Figur zu erkennen ist. Wechselt man den Standpunkt dominiert wiederum die Plattenstruktur und die streng geometrische Quaderform. Je nach Lichtverhältnis ist der Granit bräunlich, dann wieder rötlich, der Serpentin wirkt zuweilen fast schwarz, dann wieder blau oder grün. Fällt das Licht durch den geöffneten Steinkubus, entstehen Lichtmäntel, die die reale Skulptur um eine transluzide erweitern und die geometrische Grundform in den Hintergrund treten lassen. Ähnlich verhält es sich bei den in den Stein geschnittenen menschlichen Körpern. Manchmal sind sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen, macht man aber einen Schritt zur Seite, kommen die Figuren deutlich hervor.
Das Material Stein gewinnt für Egon Straszer im Hinblick auf die nur ca. 3 km dicke Erdkruste eine zusätzliche, metaphysische Bedeutung. Das als leblos erachtete Material nimmt der Künstler als sehr lebendig war, wo doch die Erdrinde das Leben auf der Erde erst ermöglicht. Darüber hinaus beschäftig ihn die ideologische Aneignung von Stein quer durch die Geschichte. Große, schwere, teure Skulpturen können sich wirtschaftlich gut situierte Unternehmen leisten oder politische Systeme, die sich ihre eigenen Denkmäler setzten. Steinskulpturen haben eine lange Lebensdauer, sie können nicht verrotten. Und dieser Vereinnahmung von Stein setzt er seine Steinskulpturen entgegen, die Leben aus dem anorganischen Material in Form von menschlichen Figuren bilden.
Man muss sich mit stone_clearing befassen, um es zu begreifen. Wer sich die Wendigkeit des eigenen Körpers zu Nutze macht, um die Arbeiten zu erforschen, dem eröffnen sich verschiedenste Durchblicke.
Jedes Licht wirft Schatten und das gibt unendliche Möglichkeiten in der Betrachtung. Man kann es Lichtschürzen oder Schattenröcke nennen oder einen anderen Begriff dafür erfinden. Das Licht ist und bleibt ein wesentlicher Teil des Konzepts. Er gibt in stone_clearing einen Gedanken vor, der Betrachter findet für sich selbst seine Interpretation.
Der geometrische Mittelpunkt, gleichzeitig Schwerpunkt jeder stone_clearing Skulptur, verleiht den Arbeiten eine angenehm, schwere Ruhe, das Lichtspiel erweckt sie gleichzeitig zum Leben. Und der Betrachter fängt all das über das Auge ein, lässt seine Eindrücke hinein in den eigenen Geist.
Und findet sich womöglich selbst in einer heilenden Stille, wie einst Egon Straszer in der Krypta des Gurktaler Doms.
Steadiness of mind can be caused by focused contemplation of an object.Sutra 35, Samadhi Pada, Pantajali Yoga Sutras
Nachdem Egon Straszer sämtliche Möglichkeiten in der Formgestaltung des Steins durchgespielt hat die Höhlung des Steines das Durchbrechen, Perforieren der Steinwand, die Freilegung, die Herausformung des Kernes die Umwandlung in biomorphe Formen - aus der Hand in den Stein, setzt er mit einer Folge von Steinschnittskulpturen ganz neu an. Egon Straszer setzt einen Schnitt.
Der Stein wird so angesägt, dass im Kern ein Mittelteil bestehen bleibt, der eine Form bildet. Kühl kalkulierend, rational-technisch setzt dieser Ansatz die Dynamik der persönlichen Handarbeit von Hammer und Meißel, das Be-Zeichnen des Steines des Höhlens und Wölbens außer Kraft. Die Oberfläche ist glatt poliert, spiegelt. Durch die engen Abstände der Zwischenräume wirken die Gestaltgesetze der Wahrnehmung. Wie ein Vorhang schließt sich die Steinoberfläche zusammen und stellt ihre Steinmaserung zur Schau. Doch das Konzept kippt in eine mystische Seite, die sich erst in der Betrachtung manifestiert. Das Prinzip der aktiven Wahrnehmung spielt auch hier eine große Rolle. Skulptur braucht Zuwendung.
Es ergibt sich ein Stundenplan der idealen Betrachtung, ein „Horarium der Steinschnitte“. Der Zeitpunkt muss passen und verwirklicht sich im Schnittpunkt des eintreffenden Sonnenstrahls mit dem rechten Blickwinkel. Sein Venusstück nennt er lächelnd Gymnastikvenus… vor der göttlichen Frau in die Knie gehen…. Die Skulpturen definieren sich in der Außenansicht, im Durchblick, im Wahrnehmen des Kernstücks, in den Lichtreflexionen auf Ober- und Unterfläche der Platten und der geheimnisvollen Lichtdurchlässigkeit. Wo ist der optimale Winkel, um die Silhouette der Figur zu erhaschen? Die Jalousie geht auf, die Jalousie geht zu. Das Auge kann nicht alles klar erfassen, ein mystischer Nebel um die im Kern stehen gelassene Form entsteht zuweilen. Der Umriss definiert die mystische Mitte im Kelchstück, Fruchtstück, Zapfenstück, Venusstück.
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